Die niedersorbische Bibel von 1868

Informationen

Textgeschichte

Das vorliegende Online-Angebot präsentiert einen historischen Text: die niedersorbische Bibelausgabe von 1868. Diese wiederum hat ihre Geschichte. Das Neue Testament basiert weitgehend auf der Übersetzung von Fabricius (1709), das Alte Testament auf der Translation von Fritze (1796). Beide Texte hat Schindler 1821 bzw. 1822 (NT) und 1824 (AT) von Neuem herausgegeben. Dabei hat er – neben der Rechtschreibung – teilweise auch die Sprache der Übersetzung modifiziert. Diese Änderungen konzentrieren sich dabei auf das NT, während Fritzes Übersetzung fast ohne Änderungen übernommen wurde. Das Neue Testament hat Teschner 1860 nochmals überarbeitet.

An der bisher letzten Bibelgesamtausgabe waren dann verschiedene Pfarrer beteiligt: Haußig in Kolkwitz, Albin in Komptendorf, Schadow in Klein Döbbern, Bronisch in Leuthen (später in Cottbus), Pank in Schorbus (später in Leipzig), Teschner in der damals deutschen Gemeinde Nieda bei Görlitz. Wahrscheinlich hat sich auch der Cottbuser Archidiakon und Oberpfarrer Burscher für die Neuausgabe der Bibel engagiert. Auch diese Persönlichkeiten haben bei ihrer Revision Fritzes Übersetzung des Alten Testaments kaum verändert, was zeigt, dass sein Werk als sprachlich meisterhaft empfunden wurde.

Für die Bibelausgabe von 1868 wurde eine damals neue Rechtschreibung verwendet, die den niedersorbischen Verhältnissen gut entsprach, unter anderem wurde konsequent zwischen š (ẜch) und ś (ſch), ž (ž) und ź (ż), ł und l usw. unterschieden.

Werdegang der digitalen Edition

Die Bibel aus dem Jahr 1868 ist einer der zentralen Texte des niedersorbischen Schrifttums. Das Buch ist sprachlich und mit Blick auf die Rechtschreibung auf seinerzeit höchstmöglichen Niveau. Durch das hohe Prestige der Heiligen Schrift hatte die Bibelausgabe zugleich besonderen Einfluss auf die Entwicklung der Schriftsprache. Digitalisiert wurde der Text bereits 2005. Voraussetzung für eine Edition war allerdings eine Korrektur, die aufgrund des hohen Arbeitsaufwands erst 2015/2016 in Kooperation mit Freiwilligen erfolgen konnte. Dafür wurde die Abschrift Buchstabe für Buchstabe mit der originalen, gedruckten Version verglichen. Die notwendigen Korrekturen wurden in die Ausgangsdatei übertragen. Diese wurde strukturell annotiert: Markiert wurden Buch- und Kapitelanfänge, Verse, Überschriften, Verweise usw. Dies bildet die Grundlage dafür, dass die Nutzer mit Hilfe von Hyperlinks und anderen Navigationsmitteln leicht an die gewünschte Textposition gelangen können, dass solche Einheiten nutzerfreundlich angezeigt werden können und dass verschiedene Textpassagen mit Hilfe von Links verbunden sind.

Um das Wechseln zwischen den bereitgestellten orthografischen Varianten zu ermöglichen (vgl. Abschnitt »Bereitgestellte Versionen«), wurde überdies die Datenstruktur des Bibeltexts bearbeitet und angepasst. Mit Blick auf die gewünschte Durchsuchbarkeit der biblischen Texte wurden zusätzlich die Indexierungsstrukturen für beide Schreibvarianten angepasst.

Schließlich wurde eine Web-Applikation projektiert und implementiert, die die Präsentation sowie das Durchsuchen der Daten im Netz ermöglicht.

Projektbearbeitung aufseiten des Sorbischen Instituts

  • Fabian Kaulfürst (Gesamtkoordinierung, Koordinierung des Korrekturprozesses, Erstellung der Version in heutiger Rechtschreibung)
  • Marcin Szczepański (technisches Konzept und Realisierung, Datenbearbeitung, Programmierung, Digitalisierung der originalen Schrift)

Kooperation

Die Korrektur der ursprünglichen Abschrift haben – koordiniert vom Sorbischen Institut – Freiwillige des Logo des Vereins zur Förderung der wendischen Sprache in der Kirche e. V. Vereins zur Förderung der wendischen Sprache in der Kirche e. V. übernommen (vgl. Absatz »Korrektur der Abschrift«). Der Verein hat darüber hinaus die nachträgliche Abschrift der biblischen Querverweise finanziert, die bei der Erstdigitalisierung 2005 ausgenommen waren. Im Rahmen der Kooperation überlies das Sorbische Institut dem Verein im Gegenzug die korrigierte Abschrift sowie die Version in normalisierter Rechtschreibung, die dem Verein als Grundlage für eigenständige, teilweise modifizierte Editionen dienen.

Korrektur der Abschrift

An der Korrektur der Abschrift des originalen Texts waren beteiligt: Lothar Burchhardt, Margot Hašcyna, †Michał Kuryłłowicz, Hartmut S. Leipner, Werner Měškank, Christiana Piniekowa, Anna M. Šulcojc

Bereitgestellte Versionen

Das Portal niedersorbisch.de / dolnoserbski.de stellt den Bibeltext von 1868 in drei Versionen bereit:

  • Bei der ersten Version handelt es sich um die genaue Abschrift der gedruckten Version in originaler Rechtschreibung, präsentiert in der originalen Schrift. Hierfür musste der originale Bibel-Font digitalisiert werden: Es handelt sich folglich um die genaue Retrodigitalisierung des Zeichensatzes, der seinerzeit beim Druck der sorbischen Bibel genutzt wurde. Dieser Unicodefont beinhaltet sämtliche im Bibeltext aus dem Jahr 1868 auftretenden Buchstaben.
  • Die zweite Version ist identisch mit der ersten, wird jedoch mit einem lateinischen Zeichensatz dargestellt, also nicht in Frakturschrift.
  • Die dritte Version präsentiert den Originaltext in heutiger Orthografie. Genauere Informationen zu dieser Variante finden Sie unten im Text.

Die Ausgabe in heutiger Orthografie

Die Orthografie des historischen Bibeldrucks von 1868 unterscheidet sich relativ stark von der heutigen. Beide Rechtschreibsysteme sind weitgehend konsequent. Trotzdem war es eine Herausforderung, den Ausgangstext orthografisch zu »normalisieren«. Einige grundlegende Transformationen konnten ohne Probleme durchgeführt werden:

  • ſchś: ſchiśi
  • ẜchš: ẜchełšeł
  • zc: zoco
  • ßs: ßese
  • ć: ſcżosćo
  • żź: żoźo
  • ŕ: kuṙkuŕ
  • ėě: usw.

Bei anderen Abweichungen zwischen den Rechtschreibungen musste genauer hingeschaut werden. Eine vollständige Zusammenstellung aller Besonderheiten kann an dieser Stelle nicht erfolgen, es werden lediglich einige wichtige Beispiele angeführt:

Die Weichheit (Palatalität) der Konsonanten wird im Originaltext oft mit einem Punkt über dem Konsonanten bezeichnet: ẇele, ſnaṁeṅa, żeṅ, kuṙ, ßłyṅzo. Bereits diese Beispiele zeigen, dass für eine korrekte Transformation in die heutige Rechtschreibung verschiedene Positionen beachtet werden mussten: Vor Vokalen wurde der mit Punkt versehene Konsonant durch einen nicht bepunkteten + j ersetzt: wjele, znamjenja, am Wortende wurden , durch ń, ŕ ersetzt: źeń, kuŕ. Das gilt auch für die Position vor weiteren Konsonanten: słyńco.

Das Graphem ſ kann in der originalen Orthografie für die heutigen Buchstaben s, z stehen. Meist entscheidet hierüber der Kontext:

  • ſ vor Vokal → z: ſa, ſeza, ze
  • ſ vor stimmhaften Konsonanten → z: ſbožo, ſmakaſchzbóžo, zmakaś
  • ſ vor stimmlosen Konsonanten → s: ſpaſch, ſtatkspaś, statk

Im Originaltext tritt das Graphem s nur am Wortende bzw. am Ende bestimmter Morpheme auf. Auch dieses kann sowohl für z als auch für s stehen. In diesem Fall war es jedoch meist nicht möglich, das jeweilige Graphem auf der Grundlage des Kontexts zuzuordnen. Die Einzelfälle mussten jeweils separat gelöst werden, zum Beispiel pſches, ros-, Knėspśez, roz-, Kněz, aber was, naswas, nas.

Für weiterführende Forschungen sind diejenigen Fälle von besonderem Interesse, die nach der Durchführung der Grundtransformation noch keiner korrekten heutigen Form entsprachen. Diese Worte zeugen von verschiedenen Herangehensweisen der beiden Rechtschreibungen. Wo sich die heutige Orthografie mehr an der Herkunft (Etymologie) der Wörter orientiert, hält sich die ältere Rechtschreibung eher an die Aussprache. Nur zwei Beispiele: 1. In Wörtern wie wšo, wrjos, wron ist das w am Anfang normalerweise stumm, es wird heute nur aus etymologischen Gründen geschrieben. In der älteren Rechtschreibung wird folgerichtig auch konsequent ẜcho, ṙoß, ron geschrieben. Wo jedoch das w trotzdem gesprochen wird, da tritt es auch im Schriftbild der Bibel von 1868 auf: nawẜcho, wewẜchoſcżna wšo, wewšosć. 2. Die Gruppe šć in der heutigen Rechtschreibung wird [ɕt͡ɕ], nicht [ʂt͡ɕ] ausgesprochen. Die historische Orthografie der Bibel schreibt darum konsequent hyſchcżi, ſchiſchcżi usw.

Bei der Transformation wurde im Allgemeinen sehr darauf geachtet, dass die originale Sprache der Bibel erhalten blieb. Es handelt sich bewusst um eine orthografische Bearbeitung, nicht um eine Überarbeitung der Sprache an sich. Deshalb finden sich im Text auch Formen wie zaspiwašo, wubluwašo (statt zaspiwa, wubluwa) oder kusy (statt kuse), die nicht der schriftsprachlichen Norm entsprechen. Nur in wenigen Fällen wurden Änderungen vorgenommen, die den orthografischen Rahmen überschreiten. Dabei handelt es sich zumeist um als dialektal eingestufte Aussprachephänomene, die sich im Bibeldruck von 1868 widerspiegeln. Unter anderem wurden Formen wie buſch, muſch, die im gedruckten Text neben byſch, myſch auftreten, durch byś, myś, kermuẜch- durch kjarmuš-, knini durch kněni ersetzt. Die Entscheidung für die Formen, die sich mit der heutigen Schriftsprache decken, erleichtert dem Nutzer der Internetedition das intuitive Suchen. Überdies handelt es sich oftmals um eine Vereinheitlichung im originalen Text nebeneinander auftretender Varianten. Durch die einfache Möglichkeit zur Version in originaler Rechtschreibung zu wechseln, ist die originale Sprache der Bibel trotzdem jederzeit zugänglich.

In der originalen Ausgabe der Bibel von 1868 tritt der Buchstabe ó nicht auf. Er wurde bei der Transformation zur neuen Rechtschreibung an den entsprechenden Stellen eingefügt. Die in der originalen Orthografie verwendete Schreibung hu-, ho- wurden nach den heutigen Rechtschreibregeln durch wu-, wo-/wó- ersetzt.

Als schwierig für eine weitgehend automatische Konversion erwies sich die Getrennt- bzw. Zusammenschreibung. Hier verhalten sich die historische und heutige Rechtschreibung an vielen Stellen gegensätzlich. Meist konnte in solchen Fällen die Transformation korrekt durchgeführt werden. Ein Beispiel hierfür ist das oben genannte nawẜcho, das zu na wšo geändert wurde. Es ist jedoch möglich, dass in einigen Sonderfällen inadäquate Formen auftreten. So existieren in der heutigen Schriftsprache wewšom und we wšom. Eine automatische Unterscheidung beider Formen ist derzeit nicht möglich. Mit Blick auf den erheblichen Umfang der bearbeiteten Daten kann es sein, dass eine manuelle Korrektur an einigen Stellen unterblieben ist. Ähnlich verhält es sich mit der Groß- bzw. Kleinschreibung. Die geringfügigen Abweichungen von der heutigen Norm mussten vorläufig als Kosten einer Transformation mit Hilfe recht umfangreicher Computerskripte akzeptiert werden. Eine Umschrift von Hand hätte weitaus mehr Zeit in Anspruch genommen. Außerdem ist davon auszugehen, dass ein manuell erstelltes Transkript weniger einheitlich gewesen wäre, vom Risiko von Tippfehlern und anderen »menschlichen« Fehlern ganz abgesehen.

Als Erschwernis bei der Überführung des Originaltexts in die heutige Rechtschreibung haben sich Namen erwiesen. Ihre Schreibung weicht sowohl in der historischen, als auch in der heutigen Orthografie oft von der Schreibung herkömmlicher sorbischer Worte ab. Da die Namen und von ihnen abgeleitete Worte im Ausgangstext nicht extra markiert waren, konnten sie nicht separat normalisiert werden. Dies führte in einigen Fällen zu ungewollten Resultaten, die manuell nachbearbeitet werden mussten.

Auf eine bei der Normalisierung potenziell mögliche Vereinheitlichung der Varianten ein und desselben Namens wurde verzichtet. Hierfür wären besondere Kenntnisse im Bereich der alten Sprachen und Bibelwissenschaften vonnöten gewesen.

Fabian Kaulfürst